Wenn Geschichte auf der Strecke bleibt - Streitpunkte in der Linken zur Friedens- & Sicherheitspolitik
Mit dem Ukraine-Krieg ist neuerlich die militärisch ausgetragene Gewalt nach Europa zurückgekehrt. Der Ruf von 1990 nach einem Gemeinsamen Haus Europa ist längst verhallt. Die alten Geister sind zurück. Die Megamaschine der Gewalt, die alte Geisel der Menschheit ist zurück und tritt wieder an. Gewalt als konstituierender Bestandteil der Menschheitsgeschichte über alle Gesellschaftsformationen hinweg und in all ihren Formen gegen seinesgleichen und die Natur.
Im Februar 2023 hat sich aus dem Kreis der Linken Paul Schäfer mit einem Beitrag zu Ursachen und Hintergründen des Ukraine-Krieges gemeldet. Er erschien in „Blätter für deutsche und internationale Politik“ Nr. 02/2023 mit dem Titel „Ein Jahr russischer Angriffskrieg: Das Elend der linken Legenden“. Einige Zeit danach ist der Beitrag im Kern unverändert unter dem Titel „Legenden und Tatsachen - Zur Vorgeschichte des Krieges gegen die Ukraine“ bei der Rosa Luxemburg Stiftung erschienen. Er greift einen hoch streitbefangenen Diskurs auf, der sowohl innerhalb der Partei DIE LINKE geführt wird, als auch von Linken aus anderen Parteien und Bewegungen. Das alles macht es sinnvoll, sich damit auseinanderzusetzen, zumal ich mich seit Ende der sechziger Jahre der Friedensbewegung und einer alternativlosen Ost- und Entspannungspolitik verbunden weiß. Anhand von drei offenkundig inhaltlichen Schwachpunkten in der Argumentation von Paul Schäfer wird in dem nachstehenden Beitrag die Auseinandersetzung geführt:
1. Unkenntnis, warum das Gemeinsame Haus Europa scheiterte;
2. Kein klarer Blick auf Rechtsentwicklungen in Baltikum, Ostmitteleuropa und Kräfteverschiebungen in EU-Institutionen;
3. Fehlender Blick auf die Dämonisierung Russlands, Unkenntnis russischer Geschichte und von Einkreisungsängsten.
Konflikte, Krisen & Kriege um Ressourcen
Konflikte, Krisen und Kriege um Rohstoffe, Absatzmärkte und politisch-wirtschaftliche Einflusssphären sind bislang ständige Begleiter der Menschheitsgeschichte, die ohne einen genaueren Blick in die Wirtschaftsgeschichte nicht zu verstehen sind. Von besonderer Bedeutung ist der eurasische Kontinent und hier der europäische und angrenzende vorder- und mittelasiatische Teil. Hier haben bis in die jüngste Vergangenheit viele erbitterte kleine und große Kriege und zwei Weltkriege stattgefunden, die verheerende Menschenopfer kosteten, unzähliges Leid bedeuteten, Natur zerstörten und die Plünderung von Rohstoffen einschlossen. Man denke nur an die Jahrhunderte währenden Kriege zwischen Russland, der Türkei und Persien um die Vorherrschaft im Schwarzmeerraum und der kaspischen Region oder den langen, zwischen 1700 und 1721 geführten Nordischen Krieg zwischen Schweden und Russland, der letzterem den Zugang zur Ostsee und damit zum Atlantik öffnete. An Russland selbst und seinen Weiten bissen sich nacheinander der schwedische König Karl XII im Jahre 1709, Kaiser Napoleon im Jahre 1812, das deutsche Kaiserreich im I. Weltkrieg und Hitlerdeutschland im II. Weltkrieg die Zähne aus. Nach dem Untergang der Sowjet-Union, der Auflösung des Systems der Staaten des Warschauer Vertrages und dem Ende des bipolaren Weltgegensatzes kehrten neue Konflikte, nicht aufgearbeitete und bewältigte Vergangenheit sowie alte Gewalttätigkeit zwischen den Völkern auf diesem Teil des Kontinents wieder auf die politische Bühne zurück. Alte antirussische Phobien wurden seitens der EU, den USA, aber auch in Deutschland erfolgreich wieder belebt, die aufgrund autoritärer und machtstaatlicher Politik Russlands und historisch verwurzelter Vorurteile Nahrung finden. Die Chance seitens der EU und den USA wurde bewusst vertan, sofort nach 1990 eine gesamteuropäische Friedens- und Sicherheitsordnung unter Einschluss Russlands auf den Weg zu bringen. Stattdessen dehnten sich Europäische Union und NATO nach Osten aus, richteten alle Anstrengungen gemeinsam mit den USA darauf, Russlands Einfluss zu begrenzen und in der kaspischen Region Fuß zu fassen, um die Erdöl- und Gasressourcen unter ihre Kontrolle zu bringen. Bereits seit 1991 wird die Militärstrategie der NATO mit der Sicherung des weltweiten Zugangs zu strategischen Ressourcen wie Erdöl begründet. Die Militarisierung der Außenpolitik der Europäischen Union schreitet voran. Die EU entwickelt sich immer mehr zu einer hoch gerüsteten, imperialen Weltmacht, gemeinsam – wenn auch nicht widerspruchsfrei - im Teilen und Herrschen mit den USA. Der Krieg gegen Jugoslawien im Frühjahr 1999 war für mich der Anlass, sich wieder stärker in der Friedensbewegung zu engagieren. Konflikte und Kriege sind vermeidbar. Wir brauchen notwendiger denn je konsequente Abrüstung und eine gesamteuropäische Friedens- und Sicherheitsordnung, die ihre Erweiterung auf eurasischer Ebene und ihre Entsprechung auf globaler Ebene findet. Energieeffizienz, drastisch weniger Rohstoffverbrauch, erneuerbare Energien und solarer Umbau sind unabdingbare Schritte auf dem Weg dahin und schaffen Auswege aus der Falle von Konkurrenz, Gewalt und Kriegen. Um diese Gesichtspunkte kreisen meine, immer wieder historische Aspekte aufgreifende Beiträge zum Öl- und Gasreichtum Russlands bzw. der Sowjet-Union, zur kaspischen Konfliktregion, zu Zentralasien, zur Ostseepipeline und zum Verhältnis zwischen Russland und der Europäischen Union, teilweise gemeinsam mit Joachim Spangenberg verfasst. Anbei eine kleine Auswahl der Beiträge:
Das Erdöl und Erdgas aus dem Osten
Zur Geschichte der russischen und sowjetischen Energiewirtschaft (2000)
Zentralasien
Interessen, Mächte und Konflikte (2002)
Russland und die Europäische Union
gemeinsam ökonomisch-ökologische Sicherheit
schaffen (2011)
Der Energie-Charta-Vertrag
Kapitalinteressen, Ressourcenraubbau, Souveränitätsverluste (2013)
Der staatliche schwedische Energiekonzern Vattenfall zieht alle Register gegen den Atomausstieg und setzt dafür den einer breiten Öffentlichkeit kaum bekannten Energie-Charta-Vertrag als Waffe ein, mit dem sich auch im Bundestag nur wenige Abgeordnete wie Ralph Lenkert (MdB DIE LINKE) näher beschäftigen. Die Berliner Zeitung meldete am 23. März 2013, dass die Klage des Konzerns vor dem Schiedsgericht ICSID, das für Streitigkeiten im Rahmen des Vertrages zuständig ist, Deutschland teuer zustehen kommen könnte. Soweit erfolgreich, könnte das 3,7 Milliarden Euro kosten und demokratische Entscheidungen in Deutschland dauerhaft unterhöhlen. Dem Energie-Charta-Vertrag kommt in der EU neben einer Vielzahl an bilateralen Investitionsabkommen besonderes Gewicht zu. Im Mittelpunkt steht der ungehinderte Zugang zu den Energieressourcen rohstoffreicher Länder. Deshalb sieht der Vertrag vor, dass sowohl Energievorräte als auch Transitwege (Pipelines im Falle von Erdöl und Erdgas) privatisiert werden und die freieTransferierbarkeit der in einem Land erwirtschafteten Gewinne gewährleistet wird. Damit wird die nationale Souveränität eines jeden Unterzeichnerstaats über seine Energierohstoffe und die Gestaltung der eigenen Versorgung und der Schutz eigener Wirtschafts- und Konzerninteressen untergraben. An dem Energie-Charta-Prozess nehmen zwar inzwischen 51 Staaten teil, aber längst nicht alle haben den Vertrag vor dem Hintergrund dieser Gefahren unterzeichnet oder ratifiziert. So nehmen so rohstoffreiche Schwergewichte wie die USA, Kanada, Venezuela oder die Golfstaaten bislang nur als Beobachter teil. Fünf Staaten, darunter die rohstoffreichen Länder Australien und Russland haben den Vertrag zwar unterzeichnet, aber nicht ratifiziert. Besonders aufschlussreich ist der Beobachterstatus der USA, die weitreichend heimische Ressourcen vor dem Zugriff ausländischer Staaten und Konzerne schützen, selbst aber global mit allen Mitteln auftreten, um sich in den Besitz strategisch wichtiger Ressourcen zu bringen. Dies wird von der EU-Kommission mit Schweigen übergangen. Im Gegensatz dazu wird von ihr die Weigerung Russlands, dem Vertrag beizutreten, seit vielen Jahren zu Konflikten genutzt. Für sie bildet der Energie-Charta-Vertrag den Schlüssel, die russische Öl- und Gasindustrie im Interesse insbes. westeuropäischer Energiekonzerne zu liberalisieren und zu privatisieren. Näheres kann dem nachstehenden Beitrag entnommen werden.
Weitere Beiträge können beim Kasseler Friedensratschlag, der Zeitschrift Wissenschaft und Frieden oder der NaturwissenschaftlerInnen -Initiative für Frieden und Zukunftsfähigkeit abgerufen werden:
http://www.ag-friedensforschung.de/
http://www.wissenschaft-und-frieden.de/seite.php?dossierID=004
http://www.natwiss.de/publikationen/Spangenberg_Tonnenweise%20Frieden.pdf
Konflikte um die Ostseepipeline
Die Ostseepipeline
Das Erdgas aus dem Osten und der neue Kalte Krieg
(2006)
Nordeuropa zwischen Konflikt und Kooperation mit Russland
Die Ostseepipeline, das Erdgas in der Barentssee und die Angst vor Russland (2007)
Pipeline unter Feuer
Warum Nord Stream 2 verhindert werden soll (2019)
Die anhaltenden und mit immer härteren Bandagen ausgetragenen Auseinandersetzungen um die Pipeline Nord Stream 2 nahm ich zum Anlaß, wieder in das Thema Ostseepipeline einzusteigen. Im Rahmen eines Vortrages beim MEZ Berlin am 12.04.2019 bin ich detaillierter den Konflikten zwischen der EU , einzelnen ihrer Mitgliedstaaten und Russland nachgegangen. Hier ist er nachzulesen:
Inzwischen sind die Auseinandersetzungen in den Krieg Russlands gegen die Ukraine gemündet , die Nord Stream Pipelines bis auf einen Strang durch ein Attentat zerstört, der russische Erdgasanteil für die EU durch die USA ersetzt. Wir stehen vor bahnbrechenden geopolitischen Machtverschiebungen, wie wir sie 1815, 1919, 1945 und 1991 gesehen haben. Zu dem ganzen Thema habe ich einen Vortrag beim MEZ im Januar 2023 gehalten., der nachstehend beigefügt ist.
Wirtschaftskrieg gegen Russland - zu Ursachen und Auswirkungen (2023)